DFG-Projekt: Medien der Praxeologie II

Medien der Praxeologie II: Zur Methodologiegeschichte der AV- Sequenzanalyse 

Teilprojekt im DFG-geförderten Sonderforschungsbereich 1187 „Medien der Kooperation“, Universität Siegen

Das Projekt widmet sich einem schon lange Zeit bestehenden Desiderat der Medien- und Wissenschaftsgeschichte: der mediengestützten Analyse sprachlicher bzw. multimodaler Interaktion, die seit den 1960er Jahren zum Entstehen neuer Forschungszweige der Soziologie, Sprachwissenschaft, Entwicklungspsychologie und Wissenschafts- und Medienforschung führte. Im Rückblick wird deutlich, dass die empirische Untersuchung und Theoretisierung der kooperativen Natur der menschlichen Interaktion, Sozialisation und Sprachlichkeit durch diese medienhistorische Entwicklung nachhaltig verändert wurde. Ziel des Teilprojekts ist es, diese Entwicklung von den unsicheren Anfängen bis zu ihrer internationalen Konsolidierung sowohl theorie- als auch methodenhistorisch zu rekonstruieren und dabei die unterschiedlichen Disziplinengeschichten, aber auch die irregulären Sprünge zwischen den Disziplinen zu berücksichtigen. Als Prüfstein der Konsolidierung wird dabei der Import audiovisueller Methoden nach Deutschland und ihre Etablierung als reguläre Verfahren der sozial-  und kulturwissenschaftlichen Forschung dienen.  Die  Vorgeschichte  der  audiovisuellen  Analyseverfahren führt ihrerseits zurück in eine noch weitgehend ungeklärte mitteleuropäische Situation vor und nach der Emigration deutschsprachiger Forscher*innen  in die USA; und zugleich in die Geschichte eines der erfolgreichsten Theoriemotive der deutschen Sprachphilosophie: die Idee einer „Inneren Sprachform“, die nach dem 2. Weltkrieg in Nordamerika als Inspiration sowohl der Suche nach neuen Parametern der mündlichen Sprache (Paralinguistik, Kinesik, Proxemik, Gestenforschung) als auch der Entstehung der Medientheorie wirkte. Das Teilprojekt konzentriert sich auf die lange Prüfungsphase der AV- Sequenzanalyse zwischen 1950 und 1980, die sich zum einen durch einen sozialen und technischen „Urknall“ auszeichnete (die Arbeitsgruppe der „Natural History of an Interview“ rund um Gregory  Bateson,  deren  Mitglieder  allesamt  eigene  Varianten  entwickelten);  und  zum  anderen  durch verschiedene  Empirisierungen  einer  philosophisch  (v.a.  phänomenologisch)  geschulten  Theoriebildung, aus deren Weiterentwicklung insbesondere in der Ethnomethodologie Harold Garfinkels und der Konversationsanalyse von Harvey Sacks ein stringentes wissenschaftliches Programm entstand, das bis heute Felder der soziologischen Praxistheorie und interaktionalen Linguistik, aber auch einer sequenzanalytisch  informierten  Medienanalyse,  Mediengestaltung  und  Digitalisierungsforschung (etwa in Gestalt der „Computer Supported Cooperative Work“) durchquert.