Forschungskolloquium „Soziale Praxis und soziologische Theorie“ – Nina Leonhard (Potsdam)

"Situation und Motivation in der militärischen Praxis: Das Beispiel der Bombardierung von Kunduz"

Wann: Dienstag, 3. Dezember 2019 um 17.00 Uhr in Raum D 430.

► Vortrag:

Im September 2009 ordnete der Kommandeur des deutschen Provincial Reconstruction Team (PRT) in Kunduz, Afghanistan, die Bombardierung von zwei Tanklastzügen an, die in einem Flussbett in der Nähe des Feldlagers 
der Bundeswehr feststeckten. Durch den Luftschlag wurden mehrere Dutzend Menschen verletzt und getötet, darunter auch Kinder. Es handelt sich um den bislang folgenschwersten militärischen Einsatz in der Geschichte der Bundeswehr, der zum Rücktritt des vormaligen deutschen Verteidigungsministers von seinem aktuellen Ministeramt, zur Entlassung des amtierenden Generalinspekteurs der Bundeswehr, des höchsten deutschen Soldaten, ebenso wie des verbeamteten Staatssekretärs im Verteidigungsministerium führte und rechtlich in Form straf-, disziplinar- und zivilrechtlicher Verfahren sowie politisch in Form der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestags „aufgearbeitet“ wurde. Der Vortrag präsentiert die ersten Ergebnisse der Analyse des Untersuchungsausschussberichts zur Tanklasterbombardierung. Dieser bietet nicht nur Erkenntnisse über die Logik der (vielstimmigen) Deutung dieses Ereignisses, sondern liefert auch Einsichten in die Modalitäten und Merkmale militärischen Gewalthandelns.


► Zur Person:
Nina Leonhard studierte Politikwissenschaft in Berlin und Paris und promovierte 2001 im Rahmen eines deutsch-französischen Ko-Betreuungsverfahrens mit einer Studie über den Wandel der Erinnerung an die NS-Vergangenheit in ost- und westdeutschen Familien. 2016 habilitierte sie sich im Fach Soziologie mit einer Arbeit über die Integration vormaliger NVA-Offiziere im vereinten Deutschland, die von der Deutschen Gesellschaft für Soziologie mit dem Thomas A. Herz-Preis für qualitative Sozialforschung ausgezeichnet wurde. Seit 2016 ist sie Projektleiterin im Forschungsbereich Militärsoziologie am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) in Potsdam und Privatdozentin am Institut für Soziologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Davor hatte sie mehrere Jahre die Dozentur für Allgemeine Soziologie und Politikwissenschaft an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg inne.