Theoretischer und methodischer Hintergrund zum Studierendensurvey

1. Allgemeine Theorien zu Instrument und Interpretation

Um dem Instrument auch auf Dauer einen tragfähigen Rahmen zu geben und die Grundlagen für die Interpretationen der Befunde zu setzen, wurden Fragen und Items theoretisch verankert, um als Indikatoren fungieren zu können.

Den Rahmen bilden zwei allgemeine Theorien, die zuweilen im Gegensatz gesehen werden. Im Studierendensurvey werden sie ergänzend genutzt, weil sie jeweils andere Strukturen und Prozesse im Studium fokussieren.

Die eine ist mit dem Namen Talcott Parsons, die andere mit dem Namen Pierre Bourdieu verbunden. Die Theorien können hier nicht entfaltet werden, aber sie durchziehen den gesamten Fragebogen.

Sie sind verschiedentlich in Beiträgen explizit verwendet worden, etwa zum Thema der Fachkulturen, der sozialen Ungleichheit im Studium (Auslandsstudium), des Studienabbruchs und des Studienertrages.

Aktuell wird das AGIL-Schema von T. Parsons in einer Studie zum „Referenzrahmen zur Studienqualität“ eingesetzt und auf seine Tragfähigkeit geprüft.

Im Studierendensurvey fanden beide Theorien Anwendung in der Instrumentkonstruktion, bei der Analyse der Fachkulturen, der Studienqualität, der sozialen Ungleichheit, dem Studienabbruch und dem Studienertrag.


2. Theorien verschiedener Stufung und Reichweite

R. K. Merton hat den Begriff der Theorien mittlerer Reichweite geschaffen. Diese beziehen sich auf begrenzte soziale Verhaltensbereiche und Strukturen - umfassen also keine Totaltheorien. Sie wurden für das Untersuchungsfeld (Studium und Hochschule) verwendet und schließlich in Items der Befragung umgesetzt.

Fünf solcher Theorien seien hervorgehoben, weil es sich um weitreichende Ansätze handelt, die zudem wichtige Bereiche erschließen und sich mehrfach bewährt haben – sie sind bis heute für die Interpretation der Daten von hohem Wert, etwa über Dropout und Anomie, Partizipation und Urteilsfähigkeit.


Auch die Theorien mittlerer Reichweite fanden Anwendung in der Itemkonstruktion und der Analyse verschiedener Merkmale.

Jeder Sachverhalt, der einer Messung unterzogen werden soll, bedarf einer "skalaren Theorie", wodurch Dimensionen, Indikatoren, Items und Antwortformate festgelegt werden. Manche solcher skalaren Theorien wurden übernommen, manche selbst entwickelt: über forschendes Lernen und Praxisbezug, über Studienertrag und Qualifikationsbewusstsein oder über alternative Orientierungen.

Die einzelnen Skalen sind im Studierendensurvey mit einer unterschiedlichen Anzahl von Items vertreten. Für das Forschende Lernen wurden 6 Items erstellt, bei der Demokratischen Einstellung sind es 7 Items. Für die alternativen Orientierungen wurden 7 Items entwickelt, für die Diskriminierung von Studentinnen 8 Items. Die Skala zur Studienertragsbilanz - Qualifikationen besteht aus 18 Items. Über die verschiedenen Erhebungen des Studierendensurveys hinweg wurden nicht immer alle Items verwendet. Manche Skalen wurden verkürzt, andere erweitert.

Weitere solcher skalarer Theorien ließen sich anführen, kaum eine Fragebatterie ist ausgenommen: z.B. zur Lernkompetenz: 4 Items (Lind), zur Anonymität: 5 Items (Bargel) oder zur Studienqualitätsbilanz: 5 Items (T. Bargel, G. Framhein).


3. Index-Konstruktionen und Indikatoren

Eine Index-Konstruktion ist naheliegend, wenn eine skalare Messung nicht möglich oder nicht beabsichtigt ist. Sie dient dazu, komplexe Sachverhalte abzubilden und Typologien zu entwerfen.

Sieben Beispiele sind angeführt, von der Beteiligung an Gruppen und Gremien der Hochschule bis hin zu Effizienzorientierung und Praxis- und Forschungsbezug. Eine besondere Rolle spielt das umfassende Index-Konstrukt des Gesellschaftsbildes.

In der Regel finden sich die Index-Konstruktionen in den Codebüchern nachgezeichnet als Variablen (mit Verweis auf die Ursprungsdaten).

Je nach Interesse und Frage lassen sich auch andere Index-Konstruktionen bilden, etwa im Rahmen von Sekundäranalysen.

Selbstverständlich sind nicht alle Items zu „Indikatoren“ aufgeladen und in „Theorien“ eingebettet, welcher „Reichweite“ auch immer.  „Merkmale“ können freilich zu Indikatoren werden, wenn sie in ein Modell, eine Theorie eingefügt werden.


4. Zur Dimensionalität im Survey

Näher an der unmittelbaren Auswertung sind die Dimensionen, die in den Fragebatterien des Studierendensurveys angezielt und abgebildet werden.

Zugleich wird deutlich, wie die einzelnen Items zu verstehen, aufeinander zu beziehen und zu interpretieren sind. Jedoch ist vorab zu prüfen, ob im Antwortverhalten der Studierenden diese Dimensionalität bestätigt wird – hier handelt es sich um wichtige Befunde erster Ordnung.

(1) Besondere Bedeutung besitzt die grundsätzliche Haltung der Studierenden, angesiedelt zwischen intrinsisch-idealistisch und extrinsisch-materialistisch, die sich bei Motiven, Werten, Kriterien immer wieder zeigt. 

(2) Die Gratifikationen eines Studiums (Nutzen) sind in vier Dimensionen unterteilt; die Einteilung orientiert sich am Ansatz von T. Parsons  (AGIL-Schema der funktionalen Leistungen).

(3) Die Anforderungen im Fachstudium werden in Korrespondenz zu Werten im sozialen System gesehen, wobei sechs relevante Dimensionen unterschieden werden, die Wissen, Erfolg, Bildung, Beteiligung, Anwendung und soziale Verantwortlichkeit umfassen.

(4) Zuweilen werden mehrere Konstrukte skalar in einer Frage versammelt, wie bei der Frage zum Studierverhalten mit der Lernkompetenz, der Prüfungsangst und der Effizienzorientierung (jede Dimension mit 2 bis 3 Items).

(5) Eine besondere Bedeutung hat das "Forschende Lernen" als markantes Kennzeichen eines Studiums. Diese Dimension wird in einer eigenen Fragebatterie mit mehreren Items (zumindest vier) als Skala erfasst.

(6) Die Dimension der Studienqualität wird durch fünf Grundelemente bestimmt: Gliederung, fachlicher Inhalt, Didaktik, Beratung und Ausstattung.

(7) Die bei der Bewältigung eines Studiums (Coping) möglichen Schwierigkeiten werden in drei Dimensionen unterteilt: Soziale Kommunikation (Integration), Leistungserbringung (Achievement) und Zurechtfinden (Orientation).

(8) Die Wichtigkeit von Lebensbereichen soll Auskunft über Wertorientierungen geben; darunter ist die Ausrichtung zwischen dem privaten Bereich (Familie, Freunde) und dem öffentlichen Bereich (Politik, Kultur) wesentlich – jeweils mit 3 Items erfasst.