"Gefahr im Feld" oder eine "Eine Frage der Einschätzung"

Johannesburg im April 2012, Musina im September 2012

"Was, du gehst nach Johannesburg?", fragte man mich besorgt in meinem Bekanntenkreis kurz vor meiner Abreise aus Deutschland. "Das ist aber gefährlich!" – "What, you are going to Musina? Are you crazy? That is nearly in Zimbabwe!", wurde mir in Johannesburg vorgehalten. Als ich vorsichtig nachfragte, kam die Antwort: „There is nothing, just crime! You know, it is the biggest port of entry."

Nun, ich kann mir wirklich Schöneres vorstellen als schwerbewaffnete Polizisten, wie man sie in Johannesburg und in der Grenzstadt Musina regelmäßig antrifft. Mich irritieren Häuser mit vergitterten Fenstern und Türen hinter meterhohen Zäunen und Mauern, deren Bewohner sich darüber hinaus zum Schutz vor Eindringlingen ohrenbetäubende Alarmanlagen und bissige, kläffende Köter zugelegt haben oder Sicherheitsfirmen mit ‚Armed Response'-Aufdrucken auf ihren Fahrzeugen engagiert haben. Aber vielleicht lauert hier wirklich hinter jeder Ecke ein Schwerverbrecher und man kann niemandem trauen?

Das Gefühl, dass man sich in ständiger Gefahr befindet, wird einem jedenfalls eindringlich in den südafrikanischen Medien vermittelt. Die Geschichten handeln von Raubüberfällen, xenophobischen Übergriffen, willkürlichen Aktionen der Polizei – man denke nur an das Rustenburg Mine Shooting im August 2012 – und nicht zuletzt von transnationaler organisierter Kriminalität. Südafrika scheint also der ideale Boden um eine Forschung über Menschenhandel durchzuführen. Doch begibt man sich hier als teilnehmend beobachtende Ethnographin nicht zu sehr in Gefahr? Oft wurde mir gesagt: "Oh, Menschenhandel, das ist ein interessantes Thema", worauf sich die Frage anschloss: "Aber ist das nicht gefährlich? Die Menschenhändler und die ganzen anderen Kriminellen sind doch bewaffnet!"

Ehrlich gesagt, einem 'echten' Menschenhändler, was auch immer man darunter versteht, bin ich während meiner Forschung noch nicht begegnet. Denn Menschenhandel ist ja, folgt man den Aussagen von internationalen Organisationen oder der südafrikanischen Regierung, eine Straftat, die verdeckt geschieht. Und sei es Zufall oder Glück: Bislang bin ich weder ein Opfer nationaler noch transnationaler Kriminalität geworden.

Klar geworden ist mir inzwischen: Ob etwas gefährlich ist oder nicht, ist immer eine Frage der Einschätzung. Eingeladen zu einer Polizeipatrouille zwischen Grenzfluss und Grenzzaun auf der südafrikanischen Seite, einem Gebiet, das normalerweise nur für Grenzsoldaten und -polizei zugänglich ist, werde ich von 15 Polizeibeamten mit Maschinengewehren im Anschlag begleitet. Als wir auf zerrissene Kleidungsstücke stoßen, die auf dem Boden herumliegen und am Zaun hängen, erklärt man mir, dass Frauen, die versuchen, über die grüne Grenze zu kommen, hier oft vergewaltigt werden. Außerdem lerne ich, dass das Grenzgebiet auch wegen der Krokodile und Hippos im Fluss gefährlich ist, so dass selbst Polizisten den Bereich hinter dem Grenzzaun normalerweise nicht bei Nacht betreten. Die potentiellen 'Gefahren', die ich während der Patrouille beobachte, sind allerdings Menschen, die versuchen, am helllichten Tag die Grenze zu überqueren, und die sich beim Anblick der Polizeitruppe schnell auf die simbabwische Seite zurückziehen. Einem schmächtigen Mann, der das Grenzgebiet offenbar illegal mit seinem Eselskarren betreten hat, gelingt dies nicht mehr, und nach Befragung durch die Polizei wird er als angeblicher Zigarettenschmuggler und unter dem Verdacht, dass er in ein kriminelles Syndikat verwickelt ist, abgeführt. Später, während ich die Polizei in die Nähe des Flusses begleite, weist mich ein Polizist an, vor der Gruppe herzulaufen, da sie mich nur so, weiterhin mit ihren Waffen im Anschlag, vor Gefahren und Kriminellen schützen könnten. Ich denke in diesem Moment allerdings, dass ich mich sicherer hinter der Gruppe der Polizisten fühlen würde, wo mir keine Waffen im Rücken säßen.

Aber die Polizisten bleiben konzentriert und keiner von ihnen jagt mir versehentlich eine Kugel in den Rücken. Meine Besorgnis war also übertrieben. Aber ich will mir lieber nicht ausmalen, wie schwierig es sein kann, bei einem Brand aus meiner Wohnung zu entkommen, wo alle Fenster und Außentüren vergittert sind. Ich möchte auch nicht wissen, welche Hörschäden die scharf eingestellte Alarmanlage verursacht, die nicht selten ohne ersichtlichen Grund loslegt. Letztens stand übrigens in der Zeitung, dass ein bissiger Wachhund durch ein offenstehendes Eingangstor auf die Straße gelaufen ist und ein Kind angefallen hat. Und bei einem Unfall, verursacht durch ein Fahrzeug einer Sicherheitsfirma auf dem Weg zu einem Einbruch, sind zwei Menschen ums Leben gekommen.

Anna Hüncke ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Lehrstuhl für Ethnologie und Kulturanthropologie. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit dem Kampf gegen Menschenhandel in Südafrika.