Wie man den "Geertz" macht

Daressalam, 26.5.2011

Der Hahnenkampf in Bali ist jedem Studenten der Ethnologie ein Begriff. In den 1970er Jahren zeigte der amerikanische Ethnologe Clifford Geertz am Beispiel dieses Volkssports, wie sich durch "dichte Beschreibung" anhand eines einzigen sozialen Ereignisses ganze gesellschaftliche Verhältnisse auffächern lassen. Bekannt ist Geertz auch für eine moderne Ethnologie, bei der die Rolle des Forschenden in seinem sozialen Umfeld thematisiert und reflektiert wird. In einer berühmten Episode beschreibt er, wie schwierig es für ihn zu Beginn seiner Forschung war, überhaupt Zugang zu den Menschen in Bali zu finden. Sie ignorierten ihn und boten ihm keinerlei Einsicht in ihre Lebensweise. Diese Situation änderte sich jedoch eines Tages als Geertz, zusammen mit den anderen Zuschauern eines illegalen Hahnenkampfes, von einer Polizeirazzia überrascht wurde. Was die Balinesen am Verhalten des sonderbaren Amerikaners gefiel, war, dass er nicht schlicht seinen ausländischen Pass zückte und ihn der Polizei unter die Nase hielt, um sich als "nichtsahnender Ausländer" aus der Affäre zu ziehen. Geertz nahm vielmehr die Beine unter die Arme und rannte vor der Polizei davon, genau wie alle anderen. Diese Solidaritätsbekundung brach das Eis zwischen den Balinesen und dem Anthropologen. Noch tagelang, so schreibt Geertz, lachte man, wenn man ihn im Dorf sah, und ahmte die panische Art nach, in der der Weiße vor der Polizei davonlief.

Heute war auch in Daressalam ein Tag der Razzien. Schon am Morgen, als ich an "meine" Straßenecke kam und meine Schuhe auf der Straße aufbaute, machte mich ein Kumpel darauf aufmerksam, dass bereits jemand von der Stadtpolizei vorbeigekommen sei. Die "City-Askari" (oder einfach "Wasiti") sind die Ordnungstruppe der Stadtverwaltung. Ihre Aufgabe besteht unter anderem darin, illegale Straßenhändler des Platzes zu verweisen. Dabei geht es aber nicht nur um Recht und Ordnung: sie wollen auch Schmiergeld. Wer erwischt wurde, muss zahlen, denn sonst kommt er ins Gefängnis.

Zu sechst kamen die Polizisten heute Mittag bei uns vorbei. Als sie um die Ecke bogen, schnappten wir uns, so gut es ging, unsere auf dem Gehweg aufgestellten Schuhe, rannten mit ihnen in einen Hinterhof, wo wir uns in Sicherheit brachten. Aber wir konnten nicht alle Schuhe retten. Die "Wasiti" hatten extra eine große Tüte mitgebracht und sackten die restlichen Schuhe, etwa 15 Paar – auch meine waren dabei.

Nun machen meine Freunde ihren Job nicht erst seit gestern, und sie wissen, was in so einem Fall zu tun ist. Einer der erfahrensten am Platz nahm sich ein Herz und lief dem Trupp hinterher. Eine halbe Stunde später kam er wieder, die Tüte mit Schuhen in der Hand. Er war frustriert: 10.000 Schilling (5.-€) hat er bezahlt, um die Ware wieder zurück zu bekommen. Auf eine sonderbare Art und Weise haben die Trupps der Stadtverwaltung auch etwas vom Straßenhandel, verdienen sie doch bei der ganzen Sache mit.

Kompliziert wurde es, als verhandelt wurde, wie der Retter der Waren nun an seine 10.000 Schilling kommen soll. Er war stinksauer, dass sich einige der Jungs einfach ihre Schuhe schnappen wollten und ihn mit dem gewaltigen Verlust sitzen lassen wollten. Es kam zu Geschrei und Handgreiflichkeiten. Der Verlust musste aufgeteilt werden, so viel war klar. Aber soll man nun anteilig bezahlen, je nachdem, wie viele von den eigenen Schuhen in der Tüte der "Wasiti" gelandet waren? Oder teilt man das Schmiergeld einfach durch die Zahl der betroffenen Händler? Man einigte sich schließlich auf letzteres. Auch ich musste meinen Tausender beisteuern, um mit gutem Gewissen meine Schuhe wieder auf die Straße stellen zu können.

Und was haben die Schuhhändler über ihren "Mzungu", ihren Weißen gelacht, als er panisch irgendwelche Schuhe vor ihm auf dem Gehsteig schnappte und im Schweinsgallopp davon rannte. "Umesepa!", rufen sie mir zu, du bist abgehauen. Natürlich bin ich das: Ich hab das von Geertz gelernt.

Alexis Malefakis ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl für Ethnologie und Kulturanthropologie. In seiner Forschung untersucht er soziale Dynamiken unter Straßenhändlern in Daressalam, Tansania.