Das ist doch privat!

Johannesburg 2012

„Darüber kann ich doch nicht reden, das ist doch privat", sagt die Frau am anderen Ende der Telefonleitung. Sie arbeitet als Hausangestellte in Johannesburg und ich habe sie angerufen, um mit ihr einen Termin für ein Treffen zu vereinbaren. Mich interessiert, wie sich der Arbeitsalltag von ‚domestic workers' gestaltet, wie sie sich ihre Zeit einteilen, ob und wie sie generell zwischen Arbeit und Freizeit, zwischen ihrem Zuhause und dem der Familien, bei denen sie arbeiten, unterscheiden.

Die Suche nach Frauen, die die Zeit und Bereitschaft haben, sich mit mir zu treffen, ist nicht ganz einfach. Am Leichtesten wäre es, über die Arbeitgeber zu suchen. Allerdings sind das selten unbelastete Arbeitsverhältnisse und die Frauen hätten vielleicht so das Gefühl, weniger offen mit mir reden zu können. Deshalb habe ich das Angebot einer vorherigen Interviewpartnerin, mir Kontakte zu Freundinnen zu vermitteln, die auch in Haushalten in Johannesburg arbeiten, gerne angenommen.

In Südafrika leben viele Hausangestellte in sogenannten ‚backyard rooms' auf den Grundstücken ihrer Arbeitgeber und deshalb fühlen sich die meisten nicht wohl mit dem Gedanken, dass ich sie dort besuche. „Das wirft nur Fragen auf und bringt Probleme", höre ich oft. Alternativ treffen wir uns dann immer in der Mittagspause oder nach der Arbeit in einem Café oder im Park. An teilnehmende Beobachtung, dem methodischen Credo der Ethnologie, ist da nicht zu denken. Das bereitet mir oft Kopfzerbrechen, aber was macht man bei einer Forschung, die von dem Interesse geleitet ist, etwas über verschiedene Vorstellungen und Praktiken des Privaten, über Privatsphäre, Privaträume und Privatheit zu erfahren? Die Tatsache, keinen physischen ‚Zugang' zu bekommen, ist das eine. Die Scheu, Menschen in ihrer spärlichen Freizeit und ihrem Zuhause ‚zu stören', das andere. Mitmachen, Zuschauen, Ausharren und Beobachten gestaltet sich dann auch menschlich und emotional als schwierig. Zu Beginn der Feldforschung fühle ich mich häufig, als wäre ich im Weg, würde kostbare Zeit stehlen und im Leben anderer rumstochern.

Wo meine skeptische Gesprächspartnerin also Recht hat, hat sie Recht. Nichtsdestotrotz bin ich erst mal überrascht von der Antwort, auch wenn sie so naheliegend ist. Es ist das erste Mal, dass ich so etwas höre, auch wenn ich bisher eher verwundert war, wie offen und ausgiebig die Frauen nach der ersten Kontaktaufnahme aus ihrem Alltag erzählen.

Privatsphäre allerdings – lerne ich irgendwann nach vielen persönlichen und ‚privaten' Gesprächen – ist für viele der Frauen nicht dort, wo ich sie erwarten würde. Sie ist eben anderswo und nicht unbedingt im eigenen Zimmer und dem eigenen Zuhause und muss sogar oft mit Fremden geteilt werden. Aber dazu ein anderes Mal mehr...

Julia Scheller ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Lehrstuhl für Ethnologie und Kulturanthropologie. Im Rahmen ihrer Dissertation forscht sie forscht sie in Südafrika zu verschiedenen Diskursen und Praktiken 'des Privaten'. Thema des Promotionsprojektes: "A Failure of Privacy? 'Public' and 'Private' in Johannesburg, South Africa".