Wissenschaft trifft Theater: Alles Wüste?

Konstanz, 2011-2012

Es war eine Begegnung, mit der ich nicht gerechnet hatte. Erst vor kurzem an der Universität Konstanz angekommen, hatte ich mir noch Gedanken gemacht, ob meine Forschungsreisen ins südliche Afrika in Zukunft vom Flughafen Zürich oder vom Flughafen Stuttgart aus starten würden. Doch dann erfuhr ich, dass ich mit dieser Frage nicht alleine war. Seit einigen Jahren unterhält das Stadttheater Konstanz rege Beziehungen mit afrikanischen Dramaturgen und Schauspielern, und so kam im Sommer 2011 die Idee auf, die dem afrikanischen Kontinent gewidmete Spielzeit des Theaters ("Afrika – in weiter Ferne so nah") für ein gemeinsames Projekt zu nutzen.

Wir trafen uns regelmäßig: eine wunderbare Schauspielerin (Susi Wirth), zwei Dramaturgen (Miriam Reimers und Michael Gmaj), ein Wissenschaftler (ich; später kam Alexis Malefakis hinzu). Anfangs wussten wir nur, was wir nicht machen wollten, nämlich eine konventionelle Vortragsreihe mit "dramaturgischem Beiprogramm". Doch wie kann man ethnologische Erkenntnisse auf die Bühne bringen, ohne dass sich der Wissenschaftler quasi selbst spielt oder dass die Schauspielerin darauf reduziert wird, ein vorgefasstes wissenschaftliches Skript zu illustrieren? Letztlich entschieden wir uns für eine Abfolge von vier Abendveranstaltungen, in denen Susi in verschiedenen Rollen (z.B. "die Professorin", "die Polizistin") als eine mal kritisch nachfragende, mal nachdenkliche, mal mimetisch nachvollziehende, mal selbstreflexiv auf sich selbst als Europäerin zurückgeworfene Kommentatorin zu verschiedenen afrikabezogenen Themen auftrat.

Wir begannen unsere Planungstreffen zu jeder Veranstaltung mit einer Ideensammlung, in der ich sowohl von meinen Forschungserfahrungen im südlichen Afrika berichtete als auch einschlägige Theorieangebote zu den entsprechenden Themenfeldern zusammenfasste. Es war für mich faszinierend zu sehen, an welchen Punkten es für Susi, Miriam und Michael besonders interessant – oder besonders langweilig! – wurde. Im Laufe der sich so entfaltenden Gespräche arbeiteten wir nicht nur Themenblöcke heraus, sondern entwickelten auch Ideen für ihre dramaturgische Einbettung. So waren wir uns beispielsweise bald einig, dass Susi bei der Veranstaltung zu afrikanischen "scheiternden Staaten" eine zutiefst korrupte Polizistin spielen würde, die mein Manuskript auf der Bühne einer demonstrativ schikanösen Zensur unterzog und der Veranstaltung auch sonst eine beklemmende Präsenz gewaltbereiter Militanz verlieh. Wie sie sich während der Aufführung in ihrer Uniform auf einem Sofa fläzte, mit überheblichem Blick und in einer schwer zu ertragenden Haltung machtvoller Langeweile gegenüber all jenem, was gleichzeitig auf der Bühne über Korruption erzählt wurde – realistischer hätte es jemand aus einer Militärdiktatur in Afrika auch nicht machen können!

Besonders wichtig war uns, das kulturell Fremde einerseits in seinem Eigenwert darzustellen, andererseits aber auch verständniserleichternde Anknüpfungspunkte zu den Lebenswelten der Zuschauer in Konstanz herzustellen. In einer Veranstaltung versuchten wir, diesen Spagat zu meistern, indem wir das angstvolle Gefühl der Bedrohung durch Hexerei in afrikanischen Gesellschaften mit der Verunsicherung verglichen, der sich viele Menschen in Deutschland durch Mobbing am Arbeitsplatz ausgesetzt sehen. Bei einer anderen Veranstaltung ging es uns zuerst um Geistbesessenheit in Afrika – also um die Vorstellung, dass ein Geistwesen vom Körper eines Menschen Besitz ergreift; im Anschluss diskutierten wir auf der Bühne, welche Wirklichkeit die von Schauspielern gespielten Rollen haben – immerhin "leben" die entsprechenden Rollen ja eine gewisse Zeit in den Körpern der Schauspieler. Der Übergang vom ersten Thema zum zweiten Thema wurde dabei dadurch vollzogen, dass Susi sich die Perücke vom Kopf zog. Fortan war nicht mehr klar zu erkennen, wann sie als "Professorin" sprach und wann als Schauspielerin.

Seit den Arbeiten des britischen Sozialanthropologen Victor Turner, dessen Mutter Schauspielerin war, hat sich die Verbindung von "Ethnologie" und "Theater" immer wieder als produktiv erwiesen. Mit Susi, Miriam und Michael über "Afrika – in weiter Ferne so nah" nachzudenken, wissenschaftliche Erkenntnisse kreativ darzustellen und die Reaktionen der Zuschauer zu beobachten, war eine überaus interessante Erfahrung für mich. Vor kurzem ist zuerst Susi und dann Miriam für ein paar Wochen nach Malawi gereist, um mit dortigen Theaterschaffenden zu kooperieren. Ich bin gespannt auf ihre Erfahrungsberichte.

Thomas G. Kirsch ist Professor für Ethnologie und Kulturanthropologie .